Rückblick: Vernetzungstreffen Bremen

TeilnehmerInnen des Bremer Vernetzungstreffens
TeilnehmerInnen des Bremer Vernetzungstreffens
Themenrunde
Themenrunde "Kooperationen"
Themenrunde
Themenrunde "Reparieren mit Jugendlichen"
Themenrunde
Themenrunde "Kommunikation"

30 Mitwirkende aus 17 Reparatur-Initiativen trafen sich am 20. Mai in Bremen zum Austauschen und Vernetzen. Die meisten stammten aus Bremen und den umliegenden Landkreisen, doch auch einige weiter gereiste Gäste, unter anderem aus Lübeck, Mölln und Eckernförde fanden den Weg in die Hansestadt. Nach einer allgemeinen Kennenlernrunde gab die Kommunikationswissenschaftlerin Sigrid Kannengießer in einem Impulsvortrag einen Einblick in ihre Forschungsarbeit. Für ihre Habilitation an der Universität Bremen forscht sie zu konsumkritischen Medienpraktiken und hat dazu unter anderem auch Repair-Cafés untersucht – und sogar selbst die Initiative "Bremen repariert im Karton" mit angestoßen.

 

"Reparieren für eine nachhaltige Gesellschaft?" lautete die Ausgangsfrage, die sie ihrem Vortrag voranstellte. Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für Reparatur-Initiativen, bzw. aus welcher Motivation heraus engagieren sich Menschen und führen Reparatur-Veranstaltungen hindurch? Mit diesen Fragen trat Sigrid Kannengießer an unterschiedlich organisierte Reparatur-Initiativen heran und konnte trotz heterogener Gruppenzusammensetzungen neun Gründe für das Reparieren im ehrenamtlichen Kontext bei den Befragten entdecken:


1. Die Nutzungsdauer von Produkten und Geräten wird verlängert, man leistet Widerstand gegen das Phänomen der geplanten Obsoleszenz und kann gleichzeitig mit anderen Interessierten zu dem Thema ins Gespräch kommen und zu künftigen Kaufentscheidungen beraten.
2. Ressourcen werden geschont.
3. Manchmal besteht eine finanzielle Notwendigkeit zu reparieren, da kein Neukauf auf Grund begrenzter finanzieller Mittel möglich ist.
4. Reparieren trägt zur Müllvermeidung bei.
5. Reparieren ist ein kommunikativer Akt – Reparaturwissen wird weitergegeben.
6. Man lernt durch das Reparieren neue Fertigkeiten oder Funktionsweisen.
7. Reparieren bereitet Freude.
8. Man kann im Reparatur-Café soziale Kontakte knüpfen und pflegen. Das gemeinsame Reparieren trägt zur Vergemeinschaftung bei, man fühlt sich als Teil einer Gruppe – eine Erfahrung, die man als kaufende Kundschaft nicht macht.
9. Das Reparieren sorgt für eine größere Wertschätzung der zu reparierenden Gegenstände bzw. Ist schon vor der Reparatur eine gewisse emotionale Bindung zu den kaputten Objekten vorhanden, weshalb überhaupt eine Reparatur zur Erhaltung unternommen wird.

In den Gesprächen mit den Aktiven nahm die Forscherin bisweilen eine Diskrepanz zwischen Motivation und Alltagsrealität wahr – die für das Engagement genannten Motivationsgründe fanden im privaten Alltag der Aktiven nicht unbedingt auch Umsetzung. Auch in der  anschließenden Diskussion unter der anwesenden Initiativen gingen die Meinungen hier auseinander – manche forderten eine nachhaltige Einstellung und Lebensführung über das Mitwirken im Reparatur-Café hinaus, während andere dieses Engagement schon als ersten Schritt für ein nachhaltiges Leben sahen und nicht zwangsläufig ein Ausbreiten auf andere Lebensbereiche als notwendig erachteten. Ein Teilnehmer formulierte treffend, dass wir mit zu vielen Informationen über umweltschädigende Missstände konfrontiert sind, die zum Teil auch unsere Lebensrealität nicht unmittelbar betreffen, so dass es nicht zu nachhaltigerem Handeln kommt. Eine andere Stimme betonte die Wichtigkeit, mit kleinen Handlungen im Alltag anderen ein Beispiel zu geben – das Reparieren statt Neukaufen sei ein Baustein davon. Zustimmen konnte die Teilnehmenden allen von Sigrid Kannengießer genannten Zielen auch aus der eigenen Erfahrung. Einige waren sie sich außerdem darin, dass es im Reparatur-Café um mehr geht als das bloße Reparieren kaputter Alltagsgegenstände, sondern dass ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt wird, der auch den emotionalen Zustand der Gäste, die Beziehung zu den Gegenständen und zur Umwelt mit einschließt.

Am Nachmittag fanden nacheinander zwei parallele Themenrunden statt. In der ersten Runde konnten die TeilnehmerInnen sich zu den Themen "Kooperationen suchen und finden" oder "Reparieren mit Jugendlichen" austauschen.

Viele Initiativen beschäftigt die Frage: Wie können wir Jugendliche erreichen und für das Thema Reparieren sensibilisieren oder gar motivieren? Die Runde "Reparieren mit Jugendlichen" leitete Annemarie Lampe, Abfallberaterin des Abfallservice Osterholz-Scharmbeck. Sie berichtete von einer Kooperation des Abfallservice mit dem Repaircafé Hambergen, in deren Rahmen mit Jugendlichen im Schulkontext repariert wurde. Im Anschluss überlegten die TeilnehmerInnen verschiedene Strategien, um sich gezielt an Jugendliche zu richten. Angebote könnten stattfinden an oder in Kooperation mit Schulen, Freizeittreffs, Ferienprogrammen, berufsbildenden Schulen, schulischen Projektwochen, aber auch bei großen Unternehmen mit Auszubildenden, auf Firmentagen oder Umweltprojekten. Um jüngere Menschen zu erreichen, sind ggf. andere Wege oder Strategien notwendig: Vorab gilt es vielleicht die Frage zu stellen, welche speziellen Interessen Mädchen oder Jungen haben. Die sozialen Medien erreichen die Aufmerksamkeit junger Menschen eher als klassische Medien oder Flyer. Auch die Ansprache muss alters- und interessengerecht erfolgen. Das Reparatur-Angebot sollte auf die Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen ausgerichtet sein: Mobile Technik, IT-Geräte, Sportgeräte, aber auch Upcycling, DIY oder Mode sind relevante Themen und bringen oft auch eine emotionale Beziehung der Jugendlichen dazu mit sich, die gezielt angesprochen werden kann. Zielführend scheint es auch, die Expertise und das Wissen der jungen Menschen anzusprechen und ihren Ehrgeiz zu wecken – sie können auch in manchen Bereichen die ExpertInnen sein und den Erwachsenen etwas beibringen, z.B. im Bereich neue Medien/digitale Technologien. An manchen Reparatur-Cafés finden Angebote statt, wo junge Menschen älteren die Benutzung von Smartphones o.ä. erklären. Wichtig ist es, ein solches Reparatur-Angebot nicht einmalig durchzuführen, sondern im besten Fall die Jugendlichen wieder regelmäßig zu aktivieren, an Termine zu erinnern und zum Mitmachen anzusprechen.

 

 

 

Parallel dazu beschäftigte sich eine Gruppe mit dem Thema "Kooperationen suchen und finden" – die meisten Initiativen agieren schon in Kooperation mit anderen Institutionen oder Organisationen vor Ort, konnten im Rahmen der Gruppe aber nochmals Erfahrungen austauschen, Anregungen und Ideen mitnehmen. Ehrenamtsagenturen wurden als hilfreiche Ansprech- und Kooperationspartnerinnen genannt – sei es für das Beschaffen von Räumlichkeiten, das Finden von Mitwirkenden, aber auch für die Vernetzung und das Sichtbarwerden vor Ort und die Öffentlichkeitsarbeit. Auch die Gemeinde/Verwaltung kann eine hilfreiche Partnerin sein. KlimaschutzmanagerInnen, falls vor Ort vorhanden, haben häufig großen Spielraum in der Gestaltung ihrer Arbeitsbereiche und können für das Thema Reparieren gewonnen werden. Mit Flüchtlingsinitiativen oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung können neue Perspektiven, Begegnungen und MitmacherInnen für das Reparatur-Café gewonnen werden. Bestehende oder mögliche Kooperationen können mit anderen Reparatur-Initiativen in der Region eingegangen werden, z.B. Für Terminabsprachen oder den Austausch von ReparateurInnen bzw. Kompetenzen. Für Veranstaltungsorte ist die Zusammenarbeit mit bspw. kommerziellen Cafés, Stadtbibliotheken, Kirchengemeinden  oder Volkshochschulen denkbar. Lokale Dienstleister oder Unternehmen können die Ersatzteilbeschaffung unterstützen oder Know-How beisteuern. Die örtliche Abfallwirtschaft kann ebenfalls einen Beitrag leisten bei der Organisation oder der Entsorgung von Altgeräten bzw. Durch den Zugang zu abgegebenen Geräten, die vielleicht noch für Ersatzteile zerlegt werden können. NGOs wie Greenpeace o.ä. sind aufgrund thematischer Nähe auch als PartnerInnen ansprechbar.

 

Nach einer kurzen Verschnaufpause startete die zweite Runde. Die erste Gruppe sprach über das Thema Finanzierung, bzw. welche Rolle Geld im Repair Café spielt. Denn auch wenn RepairCafés auf den ersten Blick als von Geld unabhängig erscheinen – von den Spenden abgesehen – erscheinen, sind sie abhängig von finanziellen Strukturen: Ehrenamtliches Engagement einbringen- können nur Menschen, deren Lebensunterhalt auf andere Weise gesichert ist (z.B. durch eine staatliche Rente), die Räumlichkeiten haben Betriebskosten, die ein Träger finanziert, auch wenn die Initiative dafür nicht zwangsläufig zahlen muss. Während die meisten Initiativen sich auf die Spendenbereitschaft der Gäste verlassen und damit auch ausreichende Einnahmen generieren, um fixe Kosten für Materialien, Versicherung usw. zu bestreiten, wünscht sich das Repair-Café der Leuchtturmfabrik eine Spende in Höhe von 5 Euro pro 15 Minuten Reparatur – ein geringerer Satz als ihn ein Dienstleister verlangen würde, aber doch eine Honorierung der Zeit und des Aufwands, der unternommen wird und auch notwendig, um die monatlichen Raumkosten zu bezahlen. Viele Initiativen schätzen aber auch gerade den geldfreien Kontext, der einerseits Dankbarkeit bei den Gästen fördert, andererseits auch den Druck von den Reparierenden nimmt, dass eine Reparatur auch gelingen muss. Das Argument, Repair-Cafés könnten die Preise für Dienstleistende kaputt machen, konnten die meisten Initiativen entkräften – hier herrschte ein guter Austausch mit den Dienstleistenden und diese seien auch froh, dass wirtschaftlich nicht lohnenden Kleinstreparaturen im Repair-Café eine Anlaufstelle finden und umgekehrt kompliziertere Reparaturen wiederum von den Initiativen an die Dienstleistenden geschickt werden. Einige waren sich die Aktiven auch, keine Reparaturen zu leisten bei Menschen, die mit großen Mengen defekter Geräte ankommen und den Verdacht erwecken, diese dann nach erfolgreicher Reparatur weiterzuverkaufen.
Um die Spendenbereitschaft der Gäste zu wecken bzw. eine Orientierung für eine angemessene Spendenhöhe zu geben, hatte einen Initiative folgenden Tipp: Die Spendendose ist aus Glas und somit einsehbar und wird vorab mit 5- und 10-Euro-Scheinen bestückt, so dass die Gäste sich daran orientieren können beim Griff in den eigenen Geldbeutel.

 

Die gleichzeitig stattfindende zweite Gruppe tauschte sich aus zum Thema "Kommunikation" und entwickelte neue Idee für die Öffentlichkeitsarbeit. Ausgangspunkt war zunächst das gemeinsame Überlegen, an welchen Stellen rund ums Reparatur-Café überhaupt Kommunikation stattfindet: In Druckmedien und sozialen Medien, auf Veranstaltungen anderer Organisationen, über Aushänge, Plakate, Flyer, schwarze Bretter, an öffentlichen Orten in der Kommune, am Empfang und an der Reparaturstation, auf informellen Teamtreffen, über Mailing-Listen intern und extern, auf dem Wochenmarkt oder auf Straßenfesten,... Jeder dieser Wege erfordert andere Inhalte und Strategien der Kommunikation und besonders hilfreich ist es, vielleicht manche Konventionen zu brechen und Erwartungen nicht zu erfüllen, um neue Aufmerksamkeit für die eigene Sache zu generieren. Besonders wichtig sind hierbei Emotionen, Geschichten und Kontraste. Über diese drei Komponenten kann Aufmerksamkeit und nachhaltiges Interesse erreicht werden. Beim gemeinsamen Brainstormen entstand ein Pool von Ideen für neue Wege der Kommunikation:
Als Emotionsträger wurden Kinder und Tiere genannt. Große Kontraste schaffen Aufmerksamkeit, z.B. Indem ein älterer Gast mit "junger" Technik gezeigt wird. Hilfreich ist es, lustige Anekdoten von den Reparatur-Veranstaltungen zu sammeln und schriftlich festzuhalten, aus denen man dann schöpfen kann bei der Erstellung von Presse- oder Infotexten oder Kolumnen. (Für Pressemitteilungen gilt generell: Gute Fotos mitschicken und einen spannenden/lustigen Aufhänger finden, statt bloße Zahlen/Termine nennen.) Auch kurze Videoaufnahmen von skurrilen Geräten oder Reparaturen sind denkbar. Ein Quiz vor Ort verkürzt den Wartenden die Zeit und sorgt für Interaktion und Auseinandersetzung mit dem Thema. Ebenso kann ein Gästebuch für die Wartezeit ausgelegt werden. Auf einer Infotafel kann die Entstehungsgeschichte der Initiative, aber auch die Motivation der Gruppe dargestellt sowie die Mitwirkenden vorgestellt werden. Ebenfalls ein Angebot für die Wartenden könnte eine Art "Bedürfnisberatung" sein, ausgehend von der Frage: Was brauche/will ich wirklich? So können vielleicht Denkanstöße gegeben werden, die vor dem Neukauf unnötiger Produkte bewahren. Derartige Themen können auch über die Website der Initiative aufgegriffen werden, neben regelmäßigen kurzen Beiträgen über verschiedene Reparaturen oder auch Hintergrundinfos zum Umgang mit Geräten – damit sie länger funktionstüchtig sind und eine Reparatur vielleicht gar nicht erst nötig wird. Auch auf Veranstaltungen anderer Organisationen oder Institutionen kann man sich in neuem Kontext präsentieren, vielleicht ein Show-Reparieren durchführen und so neue Interessierte für das Reparieren begeistern.


Mit neuen Impulsen und Kontakten verabschiedeten sich die TeilnehmerInnen am Nachmittag voneinander.
Vielen Dank an Sigrid, Annemarie, Marco und Wolfang für ihr Mitdenken und Mitwirken im Vorfeld und während der Veranstaltung!

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